Worum geht’s uns?

In einem Beitrag für die „Westfalenpost“ zum „Tag des Wassers“ 2015 hat W. Braukmann versucht, die Problematik Wasserversorgung/Steinabbau allgemeinverständlich darzustellen:

Der Angriff auf unsere Wasserversorgung

In einem Soester Café wurde ich neulich unfreiwillig Zeuge einer Beschimpfung meiner Heimatstadt. „Warstein ist ja wohl das Letzte“, klagte eine junge Neubürgerin lautstark einer Bekannten ihr Leid, „ich bin froh, wenn ich da wieder weg bin! Das fängt schon damit an, dass du ständig die Geräte entkalken musst …!“ Wie bitte?! Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen: Kalkres­te als Standortnachteil?! Verkehr oder Staub oder das Ladensterben, das wären Gründe gewesen, die ich noch einigermaßen einleuchtend empfunden hätte. Aber die Ablagerungen unseres Bodenschatzes Nr. 2 zu bemäkeln – als hätten wir keine anderen Sorgen!

Diese kurze Szene führt uns ins Zentrum der derzeitigen Probleme Warsteins und Kallenhardts (siehe Kasten): Da haben wir den Konflikt zwischen Wasserversorgung und Steinabbau sowie, damit zusammenhängend, den Attraktivitätsverlust der Stadt und die Abwanderungstendenz. Und ich möchte anlässlich des morgigen „Tages des Wassers“ versuchen, einmal den Gesamt­zusammenhang erklärend darzustellen, und stelle mir dazu eben diese Neubürgerin vor, die den diversen Kalkab­lagerungen in Keller und Küche so wenig abgewinnen kann.

Warstein hat neben einem enormen Waldbesitz und einer weltbekannten Biermarke zwei weitere Reichtümer aufzuweisen: hochwertiges Wasser und einen Kalkstein von seltener Qualität. Dumm nur, dass diese beiden Bodenschätze sozusagen ge­meinsam, im Verbund auftreten! Denn das hat einen Konflikt ergeben, der uns seit Jahrzehnten beschäftigt und der in letzter Zeit spektakulär eskaliert ist.

Im Warsteiner Untergrund lagern Millionen von Kubikmetern eines sehr gefragten Kalksteins, den der Brühne-Nachfolgebe­trieb „Cemlapis“ beispielsweise nur abbauen möchte, um ihn den in Ennigerloh hergestellten Produkten zur Veredelung beizumi­schen. Aber der Stein wurde und wird auch oft unter Wert gehandelt, etwa als Schotter oder für Gabionen, diesen modischen Heckenersatz. Wie auch immer: Der große Vorrat des “grauen Golds“ im hiesigen Boden macht jedenfalls das heftige Interesse der Steinunternehmen verständlich, weiter in die Tiefe vordringen zu wollen.

Dem steht allerdings das (bis jetzt noch geltende) Verbot des Abbaus unterhalb der Grundwassergrenzen entgegen – aus verständlichen Gründen: Denn die Steinbrüche operieren in einem Wasserschutzgebiet. Das Karstmassiv unter uns beherbergt ein Grundwasser von sel­tener Güte: einen Riesenvorrat reinsten Wassers aus bis zu 500 Metern (!) Tiefe – somit kein Oberflächenwasser, das immer die Gefahr birgt, anfällig für Verschmutzungen zu sein, wie der PFT-Skandal gezeigt hat, sondern ein „Lebensmittel Nr. 1“ ohne Schadstoffe, das eigentlich direkt, ohne Aufbereitung, als Trinkwasser genutzt werden kann! Und da würde ein Steinabbau im Nassen unser Wasser extrem in Mitleidenschaft ziehen. Wobei schon der normale Steinabbaubetrieb durch die Sprengerschüt­terungen und die Veränderungen der Druckverhältnisse im Karst die Quellwasserverläufe im Gestein gefährdet.

„Warstein ist ein Beispiel für die nicht gehörten Warnrufe der Geologen und Hydrogeologen. Seit über 40 Jahren ver suchen sie im Interesse der Daseinsvorsorge und der Zukunftssicherung den Grundwasserleiter ‚Warsteiner Massenkalk‘ zu retten und zu schützen“, schrieben schon vor vierzig Jahren die Wissenschaftler Koch und Michel.

Wir in Warstein können uns jedenfalls glücklich schätzen, über eine Quelle zu verfügen, die uns mit einem solchen Qualitäts­wasser versorgt! Entstanden ist sie paradoxerweise durch eine Sprengung vor vier Jahrzehnten. Plötzlich – und durchaus erfreulicherweise – sprudelte das kostbare Nass in der Nähe des heutigen Kletterfelsens, nicht weit von der Hillenbergquelle entfernt, aus dem Boden: Die Hillenbergquelle II hatte „das Licht der Welt erblickt“. Die Stadt baute sie aus und bekam die Wasserentnahme von der Bezirks­regierung geneh­migt. Da die Steinunternehmen jedoch befürchteten, mit ihrem Steinabbau möglicherweise die Quelle (wieder) zu beeinträchti­gen und dann zur Entschädigun verpflichtet zu werden, stellten sie Klagen in Aussicht und handelten sich so einen Ver­trag mit der Stadt ein, in dem sie von der Haftung befreit wurden. Sie konnten also einigermaßen sorglos weiterarbeiten.

Im Jahr 2013 liefen dann in Warstein Wassergenehmigung und Haftungsbefreiung aus. Die Bezirksregierung verlängerte den Stadtwerken daraufhin die Bezugsgenehmigung und wies Einwendungen der Steinindustrie ab, die daraufhin den Klageweg beschritt – vorerst, wie bekannt sein dürfte, mit Erfolg: Die Genehmigung wurde aufgehoben (ist aber noch nicht wirksam, weil das Urteil noch nicht rechtskräftig ist; Berufung sowie eine neue Genehmigung stehen an)!

Das ist das Wesentliche der momentanen Konfliktlage im sowieso extrem angespannten Verhältnis zwischen Steinindustrie und Stadt bzw. Be­völkerung. „Angespannt“ wieso? Nun, der Steinabbau belastet uns in Warstein seit langem, immer stärker und in unterschiedli­cher Weise:

Wir haben eine Lärmbelastung durch die Betriebe und ihre Brecher, der Steinlastverkehr zieht sich störend durch die Innen­stadt, es ergibt sich eine hohe Staubentwicklung und, vor allem, ein gesundheitsgefährdendes Feinstaubaufkommen, mit dem wir oft landesweit zu den höchst belasteten Kommunen gehören, es gibt ständig Sprengerschütterungen und existenzbedrohen­de Sprengschäden an Wohnhäusern, denen die Abbaugebiete ungewöhnlich nahe gerückt sind, die einstmals schöne Umge­bung des früheren Luft­kurorts wird zur Unansehnlichkeit zerstört, wir haben einen Attraktivitätsverlust auch der Innenstadt, eben durch den Verkehr, zu beklagen, der dann beiträgt zur negativen demographischen Entwicklung. Und zu alldem kommt jetzt die Gefährdung der Was­serversorgung noch hinzu!

Wurden diese Belastungen von der Bevölkerung bisher mehr oder weniger klaglos hingenommen, aus Resignation und weil auch die Ausweitungen des Steinabbaus von der Stadt zumeist glatt durchgewunken wurden, so hat sich seit einigen Jahren die Situation geändert: Der Steinabbau hat immer weiter um sich gegriffen, die Bruchflächen wucherten, da auch kaum rekultiviert wurde, und die meisten sonstigen Belastungen nahmen zu. Andererseits wurde die Wasserversorgung in Relation zur Rohstoff­gewinnung endlich von der Landespolitik höher gewertet. Es gründete sich unsere „Initiative Trinkwasser“ und artikulierte den Unmut und die Belastungen der Bevölkerung. Es gab skandalöse Sprengungen mit Steinflug und ein Unternehmen (Brühne) scheiterte mit dem Be­mühen um Tiefenabbau und ging in Konkurs.

Und da die Steinindustrie der Stadt und der Bevölkerung keinerlei Vorteile bringt (Arbeitsplätze, Gewerbesteuer und Bruchzins fallen kaum ins Gewicht), vielmehr nur Belastungen, die die Stadtentwicklung behindern, wird immer offener der Ausstieg aus dem Steinabbau zum Ausdruck gebracht.

Vor fünf Jahren machten weit über 1000 Bürgerinnen und Bürger in einer Demonstration ihrem Ärger Luft. Und auch jetzt, zum „Tag des Wassers“ am Sonntag, erwarten wir viele Teilnehmer. Denn: Soll man es sich gefallen lassen, dass die Steinunter­nehmen unverhohlen den Konsens, den die Stadt inzwischen gefunden hat, nämlich den Abbau in der Tiefe nicht zuzulassen, in Frage stellen? Ja, mehr noch, dass sie juristisch massiv gegen die Wasserrechte vorgehen und damit in Kauf nehmen, wenn nicht sogar beabsichtigen, uns diese Quellen (Hillenberg und Lörmecke) zu nehmen? Und das alles, um das Haupthindernis, welches dem gewinnbringenden Steinabbau unter der Grundwasserlinie im Wege steht, endgültig zu beseitigen?!

Wie belanglos erscheint da das Problem einer verkalkten Kaffeemaschine …


Werner Braukmann (Initiative Trinkwasser)

Die INITIATIVE TRINKWASSER wurde als Verbund verschiedener Initiativen aus Kallenhardt und Warstein im Jahre 2008 gegründet. Kallenhardt und Warstein sind in Bezug auf Steinabbau und Wasserversorgung in fast der gleichen Lage. Auch in Kallenhardt rückt der Steinabbau der Lörmeckequelle, die das Tiefenwasser aus dem gleichen Kalkmassiv wie die Hillenbergquelle bezieht, bedrohlich nahe. Und auch gegen das Lörmecke-Wasserwerk geht die Steinindustrie juristisch vor. – Das Wasser aus beiden Quellen versorgt nahezu 100.000 Menschen im Bereich der Haar.


Der Text wurde zum „Tag des Wassers“ 2015 für die „Westfalenpost“ verfasst – und leicht geändert (8. September).

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